Ich erlebe meine Beziehung zur Erde oft so wie die zu meiner Mutter. Sie waren beide einfach immer da. Selbstverständlich. Ausgesprochen großzügig. Vertraut. Sie haben mich versorgt mit allem, was ich brauche. Sie haben mich gefüttert, genährt. So oft getröstet. Mit Licht die eine, mit Liedern die andere. Mit Himbeeren und Erdbeeren, beide. Mit dem Kap, Teeplantagen und dem Wendland als Urlaubsort. Mit viel Liebe. Überbordend. So bedingungslos. Ohne Frage. Verlässlich. Natürlich – wie es die Natur, ihre Natur eben tut. Ich war ihr Kind und habe in aller Freiheit genommen, was sie mir schenkten. Meistens mit Vergnügen. Immer ohne Angst. Ich wusste mich zuhause und aufgehoben bei ihnen.
Als ich älter wurde, habe ich mich nicht mehr so leicht beschenken lassen. Ich wurde wählerischer. Nicht Mutter Erde gegenüber, aber meiner Mama begegnete ich eine Weile lang mit mehr Vorsicht. Ich wollte nicht so sein wie sie. Ich schminkte mich mit gründlich viel Kajal. Ich wollte lauter sein als sie, forscher, freier. Ich stellte Fragen, auf die sie keine Antworten wusste. So vergrößerte ich eine ganze Weile lang den Abstand zwischen uns. Heute denke ich: Das tat mir damals gut. Denn nach dieser Emanzipation enstand dann irgendwann eine ganz neue Nähe.
Als meine Mama krank wurde, war das wie ein Weckruf. Zwei Mal kämpfte sie mit dem Krebs. Ich schwor mir, ihr bei jedem Besuch Blumen mitzubringen. Statt sie irgendwann nur noch auf ihr Grab legen zu können. Viele glückliche Jahre lang schenkte und schickte ich ihr viele Sträuße. Gerbera, ihre Lieblingsblumen. Tulpen im Frühling. Amaryllis im Advent. Zwischendurch Rosen in allen Farben. Es waren die Blüten für die Extrazeit, die sie leben durfte. Unsere Beziehung wurde sehr liebevoll. Und Mutter Erde? Sie kämpfte ja auch. Mit Hitze und Wasserfluten, CO2 und Smog, immer mehr Asphalt, verschwindendem Wald, Müll, Gift. Beide Mütter konnten immer noch stark wirken. Aber ich wusste jetzt: Beide sind verletztlich. Sie sind endlich. Ihre Güte ist nicht fraglos.
Als meine Mama starb, war das ein großer Schrecken. Ja, sie war alt, aber ihr Tod kam so plötzlich. Es war nicht der Krebs, ihr liebevolles Herz blieb stehen. Die Lücke ist riesig. Ich entdecke jetzt ihr Erbe. Ihre Güte. Ihre Menschenfreundlichkeit. Und ich bin erschrocken auch über den Zustand von Mutter Erde. Nicht so überrascht, aber auch mit Erschrecken. Wird sie sich erholen können? Wird sie ausgleichen, was wir ihr genommen haben? Was kann ich dafür tun, dass ihr Herz weiterschlägt? Worauf will ich, muss ich verzichten? Wie werde ich meinen Lebensstil ändern? Aus Liebe zu ihr. In Beziehung zu ihr. Angewiesen auf sie.
Im August habe ich Urlaub. Ich werde die Nähe von Mutter Erde suchen. Nach der Pause kommt dann bald der Herbst. Ich freue mich auf die Schreibwerkstatt in Haus Sonneck zur „Freiheit“. Auf Lesungen, Vorträge und viele 2Flügel-Konzerte. Wenn wir uns live sehen. Über alle Verbundenheit, im großen Netz, etwa bei Instagram. Über Post, Grüße, Nachrichten, Mails, Kommentare, Feedback und Fragen. Ich grüße mit Segenswünschen für den Sommer. Namaste!